
Berlin #wiegehtesuns | Jüdischer Student in Berlin: "Jetzt muss man erst recht was machen"
Der jüdische Student Lior Steiner engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus. Für seine politischen Aktionen erntet der gebürtige Berliner neben Anerkennung auch viel Hass. Trotzdem macht er weiter - und hofft auf ein friedliches Zusammenleben.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Lior Steiner studiert Jura an der Freien Universität Berlin. Der 20-Jährige jüdische Berliner kämpft seit Jahren gegen Antisemitismus und hat mit der Jüdischen Studierendenvereinigung Berlin und Jewish Life Berlin zwei Organisationen gegründet, die sich stark machen gegen Hass gegen Israel. Lior ist im Berliner Westen geboren und aufgewachsen - vom Holocaust hat er schon früh erfahren. So geht es Lior
Meine Geschwister und ich sind früher häufig mit unserem Vater am Gleis 17 in Grunewald gewesen, von dem aus Berliner Juden und diejenigen, die nicht in das NS-Bild gepasst haben, deportiert worden sind in Arbeitslager und Konzentrationslager. Mein Vater hat uns das gezeigt, weil ihm wichtig war, dass wir die Geschichte so früh wie möglich kennenlernen.

Gedenkstätte Gleis 17
Ich erinnere mich, dass das ganz, ganz komisch war. Vor allem dieser dunkle Gang war schon immer ziemlich gruselig. Der Wind, die Stille, das alles ist schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Da wird einem auch mulmig, wenn man weiß, was hier vor vielen Jahren passiert ist. Es gibt keinen Ort in Berlin, der mich so bewegt, was die Thematik angeht. Er steht für mich für einen der Punkte, warum die NS-Zeit so schrecklich war.

Israel steht als das Land, wo Juden sich nach dem Holocaust sicher fühlen sollten. Und so hat jeder mit jüdischen Wurzeln weltweit irgendwie eine Verbindung zu dem Land. Ich freue mich und bin auch optimistisch, dass die deutsch-israelischen Beziehungen mit der neuen Regierung weiterhin bekräftigt werden. Ich sehe trotzdem, dass Deutschland viel zu wenig gemacht hat gegen den Antisemitismus, der hier herrscht, auch gegen den israelbezogenen Antisemitismus.
Was ich nach dem 7. Oktober erlebt habe, besonders aus der islamistischen und linksextremen Szene, ist sehr einschneidend und ganz persönlich. Das war für mich so ein Zeichen: "Jetzt muss man erst recht was machen."
Ich bin an der Uni und in verschiedenen Organisationen aktiv. Nach dem 7. Oktober habe ich aus der jüdischen Community heraus eine eigene Organisation gegründet. Wir haben Demonstrationen gemacht, weil wir gesehen haben, es passiert viel zu wenig auf politischer Ebene und vor allem gesellschaftlich. Das ist dann eben so groß geworden, dass mein Gesicht plötzlich überall war. Und dann gab es Morddrohungen. Meine Nummer wurde irgendwo auf eine Toilette geschrieben. Ich bekam dann Drohanrufe. Irgendwann habe ich gesagt: Okay, ich habe noch ein Studium zu machen, ich habe noch mein Privatleben. Ich habe also die Sache für ein paar Monate unterbrochen, seit ein paar Monaten bin ich aber politisch wieder ziemlich aktiv.

Ungefähr einmal die Woche kriege ich Nachrichten wie "sowas wie du gehört verbrannt." Ich meide schon seit Jahren Brennpunktorte wie die Sonnenallee, Hermannplatz, weil vor allem in den jüdischen Kreisen bekannt ist, dass man da, wenn man eine gewisse Ansicht teilt oder eben jüdisch ist, nicht mehr so gern gesehen ist. Es gibt Orte wie Charlottenburg, Grunewald, da in Richtung Kudamm, da kann ich frei sein, machen, was ich will. Dort trage ich auch den Davidstern.
Ich glaube, viel mehr Dialog würde helfen. Ich habe ziemlich oft versucht, mit verschiedenen Menschen ins Gespräch zu kommen, die völlig anderer Meinung sind als ich. Ich habe dabei auch erlebt, wie gesagt wurde: Du bist Zionist, mit dir spreche ich nicht. Sowas ist halt eine ganz schwierige Herangehensweise. Ein Gespräch damit anzufangen, dass man die Landkarte von Israel wegstreicht, ist nicht die Diskussionsgrundlage, die ich mir erhoffe.
Dass ich mich für die Situation in Nahost rechtfertigen muss, passiert eigentlich jede Woche. Aber man muss ja unterscheiden zwischen der Regierung in Israel, zwischen der Armee, die die Befehle der Regierung ausführt und zwischen jüdischen Menschen oder pro-israelischen Menschen in Deutschland und im Rest der Welt. So groß wie der Support in der jüdischen Community für Israel ist, ist auch die Kritik an der Regierung von Benjamin Netanjahu. Wobei man auch sagen muss, wer den Krieg angefangen hat. Und nach meiner persönlichen Meinung gibt es durchaus auch eine Berechtigung, dort in Gaza Krieg zu führen.

Vom Erstarken der AfD habe ich ehrlich gesagt wenig mitbekommen, weil ich seit dem 7. Oktober ausschließlich aus der linksextremen und islamistischen Szene Hass abbekommen habe. Dennoch kenne ich die Strukturen der AfD so, wie man sie mitbekommen hat. Und das erschreckt mich natürlich sehr, man sollte niemals irgendeine Form des Extremismus dulden und schon gar nicht die Form des Rechtsextremismus, weil wir gesehen haben, wohin das damals geführt hat.
Es gibt viele Leute, die mich unterstützen, für die ich sehr dankbar bin, meine Familie, meine Freunde. Und solange das steht, kann nichts schief gehen, würde ich sagen. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass wir es irgendwann hinkriegen, gemeinsam hier miteinander friedlich zu leben. Auch wenn man es weltweit vielleicht nicht schafft, vielleicht können wir Vorreiter sein in Deutschland, da wo alles mal ganz anders ausgesehen hat.
Innerhalb der jüdischen Community sind wir ziemlich gespalten. Da gibt es diejenigen, die wirklich Angst haben, die ihr Studium abgebrochen haben, oder die an gewissen Unis überhaupt nicht studieren, so wie an der Freien Universität (FU) Berlin zum Beispiel. Es gibt also Stimmen, denen es super, super schlecht geht und die aus Deutschland raus wollen - auch in meinem Alter. Es gibt aber auch die, die sich davon nichts nehmen lassen.
Gesprächsprotokoll: Christina Rubarth
Sendung: rbb24 Abendschau, 12.05.2025, 19:30 Uhr