Helene Weigel, die Ehefrau Bert Brechts und legendäre - Mutter Courage. Photographie. 1955. (Quelle: Picture Alliance/brandstaetter images/Franz Hubmann)

Berlin "Wenig Gelegenheit sie zu bewundern, sie nahm einen in Beschlag" | 125 Jahre Helene Weigel

Stand: 12.05.2025 08:25 Uhr

Zum 125. Geburtstag von Helene Weigel präsentiert sich das "Brecht-Haus" als "Weigel-Haus" und feiert sie als "größte Schauspielerin des 20. Jahrhunderts" mit Kaffee und Kuchen – nach Rezepten der Jubilarin. Von Corinne Orlowski

Chausseestraße 125: An der Fassade ist der Schriftzug Brecht-Haus durchgestrichen. Stattdessen steht da in großen gelben Lettern "Weigel-Haus". An diesem frühlingshaften Nachmittag ist kaum ein Durchkommen zum Hinterhof. "Mit dieser Korrektur möchten wir auf einen Gründungsfehler in der Namensgebung dieses Hauses aufmerksam machen", begrüßt der Leiter des Literaturforums im heutigen "Weigel-Haus", Christian Hippe, die Gäste.

Denn in dem 1978 eröffneten Brecht-Haus hat Helene Weigel sogar 15 Jahre länger als ihr Ehemann gelebt, von hier die Geschicke des Berliner Ensembles geleitet und als Nachlassverwalterin fungiert. Mit Bertolt Brecht verbindet sie nicht nur eine lebenslange künstlerische Partnerschaft, die zugleich eine Liebesbeziehung war. 1923 lernen sie sich kennen, nachdem Helene Weigel nach Berlin gekommen war, um bei Theaterregisseur Max Reinhardt Dramaturgie zu studieren. "Kleine Gestalt, große Kämpferin" – so beschreibt Brecht seine Frau, mit der er zwei Kinder bekommt. In seinem Gedicht "Über eine große Schauspielerin unserer Generation" heißt es 1929 über ihren Charakter: "Sie ist gutartig, schroff, mutig und zuverlässig".

Helene Weigel als Mutter Courage im Berliner Ensemble. (Quelle: Picture Alliance/united archives/WHA)

Helene Weigel in ihrer Rolle als "Mutter Courage" am Berliner Ensemble.

Der Vortag ihres 125. Geburtstags wird mit Kaffee und Kuchen gefeiert: Apfelstrudel, Zitronenkuchen und Johannisbeertorte – natürlich nach Art der Jubilarin. Denn es ist Muttertag und geehrt wird eine Intendantin und Schauspielerin, die immer wieder große Mutter-Rollen auf der Bühne gespielt hat, wie Hippe betont. "Helene Weigel, die als Chefin des BE zudem auch als 'Mutter des Ensembles' galt und die als Person und Künstlerin letztlich aber doch ein anderes, avanciertes, modernes Frauenbild repräsentiert hat, das mit gängigen, eingespielten Mutterklischees nicht wirklich in Einklang zu bringen ist."

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Unermüdliche Frau und liebevolle Oma

Die Weigel, geboren am 12. Mai 1900, hat Konventionen gebrochen und an der Seite Brechts mit ihren Rolleninterpretationen Theatergeschichte geschrieben. Ohne eine Schauspielschule besucht zu haben, beginnt die junge Wienerin bereits mit 17 Jahren eine Blitzkarriere. Mit 19 spielt sie am Frankfurter Schauspielhaus die Marie in Büchners "Woyzeck": "Ein wahres Temperament", würdigt sie ein Kritiker – ein anderer lobt die Charakterschauspielerin später als "ein kleiner Vulkan".

Auch wenn das Literaturforum diese Bemerkung als Motto für sein Fest gewählt hat, an diesem Nachmittag wird Helene Weigel eher als große Bewahrerin, denn als unermüdliche Frau und als liebevolle Oma gewürdigt. Ihre Enkelin Johanna Schall erzählt vom schrägen Humor ihrer Großmutter. Die soll mal gegenüber ihrer Tochter Barbara über Brecht bemerkt haben: "Dein Vater war ein sehr treuer Mann, leider zu zu vielen." Weigels Toleranz für Brechts immer neue Affären ist bekannt. Unbekannter jedoch, dass Brecht und Weigel zusammen gerne und leidenschaftlich Tango tanzten, "inklusive Dip-Pose", wie Johanna Schall amüsiert hinzufügt. Zum Abschluss liest sie zwei persönliche Briefe ihrer Oma, "die keiner kennt" – und kann da ihre Rührung kaum verstecken.

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Im Hof draußen sowie in den Räumlichkeiten des Literaturforums und Brecht-Archivs finden Lesungen, Gespräche und Führungen gleichzeitig statt: Büchnerpreis-Trägerin Emine Sevgi Özdamar schickt Geburtstagsgrüße, Çiğdem Teke trägt einen Monolog nach "Mutter Courage und ihre Kinder" vor, Maria Wischnewski spricht über ihren im Herbst 2025 erscheinenden Film "Helene Weigel. So wie es ist, bleibt es nicht" und Mitarbeitende der Akademie der Künste führen durchs Weigel-Archiv. Exklusiv wird auch die Tür zu Weigels Wohnung geöffnet. Am Klingelschild stehen noch ihre Initialen: HWB. Drinnen: schwere barocke Holzmöbel im Schlafzimmer und Geschirr im blau-weißen Zwiebelmuster in der Küche.

Intendantin Helene Weigel

Ausweis von Helene Weigel als Intendantin des Berliner Ensembles.

Helene Weigel wird als "die größte Schauspielerin des 20. Jahrhunderts" geehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt sie aus dem Exil nach Deutschland zurück. Im Jahr 1948 steht sie wieder auf einer deutschsprachigen Bühne. Ein Jahr später zieht sie mit Brecht nach Ost-Berlin. Als "Mutter Courage" feiern sie Triumphe und legen damit den Grundstein für ein eigenes Theater: das "Berliner Ensemble".

Er wird künstlerischer Leiter, sie sorgt als Intendantin mit ihrem Organisationstalent für Verträge, schafft ihrem Gatten "Spielraum und Spielzeug" – wie Dokumente im Archiv zeigen. Späte Weggefährten aus dem Osten wie Schriftsteller und Büchner-Preisträger Volker Braun verehren sie bis heute: "Jeder kennt ihre behutsame Stimme, ihre asiatische Gestalt, wenig Gelegenheit sie zu bewundern, sie nahm einen in Beschlag."

Doch an diesem Nachmittag wird besonders deutlich: Die Nachgeborenen faszinierte diese zupackende Frau vor allem mit ihrem Willen, die Verhältnisse hin zu einer gerechteren Welt zu verändern. Das Literaturforum im Brecht-Haus wünscht sich, dass die Umbenennung nicht nur eine symbolische Geste bleibt. Würde das Haus in der Chausseestraße offiziell "Brecht- und Weigel-Haus" heißen, so träumt Leiter Christian Hippe, gäbe es weitere finanzielle Ressourcen für den Erhalt, die "bestenfalls, um jetzt mal perspektivisch und visionär zu denken, mit der Öffnung eines Erweiterungsbaus verbunden werden". Doch bei den Kürzungen im Berliner Kulturetat wird dieser Wunsch wohl erstmal Zukunftsmusik bleiben.

Brecht-Haus, Chausseestraße, Mitte aufgenommen am 01.02.2024. (Quelle: Picture Alliance/Schoening)

Im "Brecht-Haus" in der Chausseenstraße 125 in Berlin-Mitte lebten ab 1953 Helene Weigel und Bertold Brecht.

Zum 125. Geburtstag von Helene Weigel kann man auf der Website des Berliner Ensembles eine Woche lang kostenlos eine Aufzeichnung von Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" aus dem Jahr 1957 streamen, die Rolle, die sie international berühmt machte.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.05.2025, 6:55 Uhr