
Nordrhein-Westfalen Esken-Rückzug: Wie schwer es Frauen in der Spitzenpolitik haben
Werden Frauen in der Politik kritischer betrachtet als Männer? Das sagt Saskia Esken, die sich nun als SPD-Chefin zurückzieht.
Saskia Esken tritt als SPD-Chefin nicht zur Wiederwahl an. Diese Nachricht, die sie am Sonntag in der ARD verkündete, kam nicht allzu überraschend. Schon im Zusammenhang mit der Bildung des neuen Bundeskabinetts wurde viel über Esken und die Frage diskutiert, wieso sie letztendlich kein Ministeramt erhalten hatte.
War es die Quittung für das schlechte Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl Ende Februar? Möglich, denn als Parteivorsitzende steht Esken natürlich in der Verantwortung. Andererseits ist es dann schwer zu erklären, wieso Lars Klingbeil Finanzminister und Vizekanzler werden konnte und als neuer starker Mann der SPD gilt. Denn Klingbeil hat die Partei mit Esken zusammen geführt und wäre logischerweise genauso in Haftung zu nehmen.
Esken wird abgestraft, Klingbeil kriegt den Top-Job

Klingbeil und Esken: "bemerkenswerte Asymmetrie"
Eine Frage, die auch bei Landesparteitag der SPD am Wochenende in Duisburg zur Sprache kam. Mehrere Delegierte thematisierten in scharfem Ton, wie es sein könne, dass Klingbeil nach dem Wahldebakel in kürzester Zeit immer mehr Ämter angehäuft habe, während Esken allein die Konsequenzen für die Klatsche zu tragen habe. Esken werde "abgestraft", während Klingbeil Posten anhäufe, beklagte ein Delegierter aus Gelsenkirchen. "Das ist unanständig, was da gelaufen ist, dass wieder die Frauen kassieren und die Männer den Top-Job kriegen", schimpfte ein anderer.
Der Politiologe Thorsten Faas, der als Teil einer SPD-Kommission das Bundestagswahlergebnis aufarbeitet, sah schon Ende April eine "bemerkenswerte Asymmetrie" im Verhältnis von Esken und Klingbeil. Der eine starte durch, bei der anderen sei nicht klar, "ob sich überhaupt ein Platz für sie findet", sagte er im Interview mit tagesschau.de.
Esken: "Politikerinnen werden härter und kritischer betrachtet als Männer"
Saskia Esken selbst sprach in diesem Zusammenhang über "Geschlechtergerechtigkeit in der Politik". Auf die Frage, ob sie sich angesichts der Kritik der vergangenen Wochen ungerecht behandelt fühle, sagte sie am Sonntag in der ARD: "Ich glaube, dass Frauen in der Politik insgesamt anders beurteilt werden und auch härter und kritischer betrachtet werden als Männer." Frauen müssten "in einem hohen Maße männlich geprägten Rollenklischees" genügen. "Da müssen wir uns als Frauen auch dagegen verwahren."
Dass Frauen in der Politik anders behandelt werden als Männer sei nichts Neues, meint auch der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall am Montag im WDR. "Es gibt tatsächlich eine Reihe von Studien, in denen Politikerinnen berichten, dass ihr Äußeres viel mehr thematisiert wird als bei Männern." Ihnen werde auch gerne vorgeworfen, sie seien "zu emotional". Frauen in der Politik hätten häufig unter alten Rollenmustern zu leiden, so Marschall.
Belege dafür, dass Esken zuweilen hart mitgespielt wurde, gibt es reichlich. Die "Neue Zürcher Zeitung" attestierte ihr "den Charme von Marge Simpsons Schwestern", die "Welt" nannte sie "den Griesgram". Und auch parteintern gab es viele gnadenlose Urteile, abgeschossen aus dem Hinterhalt, wo Politik gemacht wird, ohne dafür mit dem eigenen Namen einzustehen. "Sie kann es einfach nicht", sie sei "nur noch peinlich" und solle sich am Besten von Talkshows fernhalten - diese anonymen Urteile über die Parteichefin ließen sich zuletzt in vielen Medien finden.
Kompetenz, Stil, Auftreten: Was braucht es in der Politik?
Die Frage, ob der Missmut über Esken mit ihrem Geschlecht oder eher mit ihrer Kompetenz zu hat, ist schwer zu beantworten. Fakt ist aber: In ihren Fachbereichen, der Bildungs- und Digitalpolitik, stellte Esken als Informatikerin die nötige Expertise immer wieder unter Beweis. Und wenn man sich ansieht, dass etwa ein Verkehrsminister wie Andreas Scheuer (CSU) nach dem Maut-Debakel, das den Steuerzahler rund 250 Millionen Euro gekostet hat, noch jahrelang im Amt war, lässt das ohnehin den Schluss zu, dass fachliche Kompetenz in der Spitzenpolitik vielleicht gar nicht die oberste Priorität hat.
Ist es also doch eine Frage des Auftretens? Klar ist nämlich auch: In der Politik sind Stilfragen durchaus wichtig. Aussehen, Kleidung, Rhetorik - das alles sind Faktoren, die eine Rolle spielen. Und auf die wird bei Politikerinnen offenbar mehr geachtet als bei ihren männlichen Kollegen. Davon kann Ricarda Lang (Grüne) genauso ein Lied singen wie Dorothee Bär (CSU). Und Saskia Esken eben auch.
Sachthemen statt Seilschaften
Der Politologe Faas sieht einen anderen Grund für Eskens Scheitern: Sie habe "kein starkes machtvolles Netzwerk in der SPD", sagte er tagesschau.de. Esken sei demnach eher an an Sachthemen denn an Seilschaften interessiert gewesen. Zwar seien ihr die Linken und die Frauen in der Partei zur Seite gesprungen. Aber der Frauenanteil bei den Mitgliedern der SPD liegt eben nur bei gut 33 Prozent.
Lars Klingbeil nannte die Angriffe auf Esken übrigens "beschämend". Und auch Ralf Stegner ergriff für sie Partei: "Der Versuch, sie zum Sündenbock für unser miserables Wahlergebnis zu machen, war kein Ruhmesblatt und entsprach weder im Inhalt noch im Stil der Debatte den Grundwerten der SPD", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete dem "Handelsblatt". Ob und welche Rolle ihr Geschlecht gespielt haben könnte, davon war nicht die Rede.
Mit Bärbel Bas soll wieder eine Frau an die SPD-Spitze rücken
In der langen Geschichte der SPD gab es bislang erst zwei weibliche Vorsitzende: Saskia Esken, die seit Dezember 2019 im Amt ist, und Andrea Nahles, die die Partei von April 2018 bis Juni 2019 führte. Beide wurden von der eigenen Partei recht unrühmlich abserviert. Eine Chance, es in Zukunft besser zu machen, hat die SPD schon Ende Juni. Dann wählt die Partei ihre neue Führung. Und ganz oben auf der Favoritenliste steht eine Frau: Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas.
Über dieses Thema berichten wir am 12.05.2025 auch im WDR Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa, AFP
- ARD-Interview mit Saskia Esken im "Bericht aus Berlin"
- Interview mit Thorsten Faas auf tagesschau.de
- Freie Universität Berlin: Studie zu Parteimitgliedern in Deutschland