Ein Flyer, der von der rechtsextremen Identitären Bewegung an Schulen verteilt wird.

Baden-Württemberg Rechtsextreme Identitäre Bewegung verteilt Flugblätter an Schulen in BW

Stand: 12.05.2025 13:34 Uhr

An Schulen in mehreren Bundesländern sind Flyer der rechtsextremen Identitären Bewegung aufgetaucht - auch in Baden-Württemberg. Alles sieht nach einer koordinierten Aktion aus.

Von SWR

Die rechtsextreme Identitäre Bewegung hat in Baden-Württemberg, Bayern und anderen Bundesländern Flyer an Schulen verteilt. Das berichtet das bayerische Kultusministerium. Neben Schulen in München und Augsburg sind der bayerischen Regierung auch zwei Fälle in Baden-Württemberg bekannt. Mit den Flyern versucht die Bewegung offenbar, junge Leute auf Schulhöfen für die rechte Sache zu gewinnen, Schülerinnen und Schüler werden mit dem Schreiben gezielt angesprochen.

Flugblätter sollen Ängste von Schülern ansprechen

Die Flugblätter tragen den Titel "Lehrer hassen diese Fragen". Auf der Rückseite wird suggeriert, dass die deutsche Jugend in den Großstädten mittlerweile in der Minderheit sei. Es werden sexuelle Übergriffe thematisiert, aber auch die Zukunftsunsicherheit junger Leute, Rente sowie Inflation. Die "Remigration" wird als Lösung der Probleme angepriesen. "Wehr dich!", ist darauf zu lesen. Ein Ziel der Kampagne sei die Werbung um neue Mitglieder im Jugendalter, so der baden-württembergische Verfassungsschutz.

Vor dem Lessing-Gymnasium im bayerischen Neu-Ulm etwa wurden 40 bis 50 Flyer auf dem Platz vor dem Schuleingang gefunden. Sie lagen auf den Pflastersteinen oder in den Büschen. Von den Flugblättern hätten die Schülerinnen und Schüler nichts mitbekommen - sie seien schnell eingesammelt und vernichtet worden, so die Schulleitung. Das Thema Radikalisierung werde im Unterricht angesprochen, unter anderem auch in der "Verfassungsviertelstunde", so Schulleiter Martin Bader. Das Lessing-Gymnasium hat wegen der Flyer Anzeige gegen die Identitäre Bewegung erstattet.

Verfassungsschutz beobachtet Identitäre Bewegung

Bei den Identitären handelt es sich um eine rechtsextreme Bewegung, die rassistische und islamfeindliche Positionen vertritt und immer wieder mit Protestaktionen auf sich aufmerksam macht. In Deutschland wird die Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet.

Die "Identitäre Bewegung"
Die "Identitäre Bewegung", wie sie sich selbst nennt, ist laut Bundeszentrale für politische Bildung eine Ende 2012 entstandene Gruppierung neu-rechter und rechtsextremer Aktivistinnen und Aktivisten. Sie fordern, dass "Werte wie Tradition, Heimat, Familie, Kultur, Volk, Staat, Ordnung oder Schönheit wieder zu positiven, erstrebenswerten Begriffen", werden, heißt es im Manifest der "Identitären Bewegung Deutschlands" (IBD). "Tatsächlich vertreten die Identitären klassische islamfeindliche, rassistische und demokratiefeindliche Positionen", so die Bundeszentrale für politische Bildung. Sie vertrete eine Theorie, die Ethnien "nicht nach biologischen Kriterien, sondern nach Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis definiert". Diese Kulturen dürften sich nicht vermischen. Diese Haltung widerspricht dem Grundgesetz und gilt deshalb als verfassungsfeindlich. Mitgliedsgruppen der "Identitären Bewegung" sind in mehreren Bundesländern als Beobachtungsobjekt eingestuft, auch in Baden-Württemberg.

Die Bewegung spreche in erster Linie junge Menschen an, schreibt der baden-württembergische Verfassungsschutz. Sie verbreite ihre extremistischen Botschaften vor allem im Internet sowie über Banner- und Plakataktionen. In Baden-Württemberg gehören demnach etwa 100 Menschen zur Gruppe. Für die Bewegung ist laut Verfassungsschutz allein die ethnische Herkunft maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Jedes Volk soll nach der Denkart ausschließlich auf dem eigenen Territorium leben und auf diese Weise seine Identität bewahren. Dementsprechend fordern die Identitären unter dem Schlagwort "Remigration" die Um­kehrung von Migrationsbewegungen.

Welche Wirkung haben die Flyer auf Jugendliche?

"Das ist typische Angstmache", ordnet Rolf Frankenberger, wissenschaftlicher Geschäftsführer beim Institut für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen, ein. Darstellungen der eigenen Bevölkerung als Minderheit, die Forderung nach "Remigration" - das sei altbekannt. Neu sei hingegen, dass die Zukunftsängste junger Menschen thematisiert würden. So wird auch die schmelzende Rente erwähnt und das kollabierende Gesundheitssystem. Auf den Flyern werde gezielt ein Generationenkonflikt zu den "Boomern" aufgemacht, erklärt Frankenberger. 

Die Identitären seien gut darin, sich mit solchen Aktionen aufzublasen und sich wichtiger darzustellen, als sie eigentlich seien, so der Forscher. Die Gefahr der Flugblätter liege aber darin, dass sie junge Menschen ins Netz locken könnten, wo sie sich gegebenenfalls in rechten Blasen radikalisieren könnten, sagt der Experte. Die Zielgruppe der Identitären seien Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren, schätzt er. "Die, die mitten in der Pubertät stecken und Orientierung suchen, sich mit Identitätsfragen auseinandersetzen."

Aus Sicht von Rechtsextremismusforscher Frankenberger sollten die Flyer keinesfalls in den Papierkorb wandern. "Am besten nimmt man sie mit in den Gemeinschaftsunterricht", sagt er. Man müsse solche Dinge thematisieren und über die Probleme reden.

SPD-Landeschef fordert Demokratie-Grundkurs

Der baden-württembergische SPD-Landeschef Andreas Stoch zeigte sich angesichts der Flugblätter alarmiert. Er fordert laut einer Mitteilung einen "Grundkurs Demokratie" für alle Schülerinnen und Schüler vor dem 16. Lebensjahr. "Der Fall zeigt einmal mehr, dass gerade junge Menschen Zielscheibe von Rechten und Rechtsextremen sind." Kinder und Jugendliche müssten in die Lage versetzt werden, Propaganda zu erkennen und einordnen zu können, so Stoch.

Sendung am So., 11.5.2025 8:00 Uhr, SWR1 Nachrichten

Mehr zur Identitären Bewegung und Rechtsextremismus