
Reaktionen auf Merz' Rede "Aufkündigung der europäischen Zusammenarbeit"
Die Opposition ist Kanzler Merz nach dessen Regierungserklärung scharf angegangen. Grünen-Fraktionschefin Dröge warf ihm in Sachen Asylpolitik einen Alleingang in der EU vor. Die AfD nannte die Migrationspolitik der Regierung unzureichend.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge hat der neuen schwarz-roten Regierung zunächst Erfolg gewünscht - "denn dieses Land hat das verdient", sagte sie nach der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag.
Dann warf sie dem neuen Kanzler allerdings vielfaches Versagen vor. "Die Politik, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, war an vielen Stellen eine Politik, die auch verbrannte Erde hinterlassen hat", sagte Dröge. Merz' Wahlkampf habe an zentralen Stellen auf Falschaussagen beruht. Sie erinnerte an die gemeinsame Abstimmung der Unionsfraktion mit der AfD beim Thema Migration.
Dröge wirft Merz Stimmungsmache vor
Oft habe Merz polarisiert, sagte Dröge. Er habe Stimmung gemacht, "gerade gegen diejenigen Menschen in diesem Land, die gesellschaftliche Minderheiten sind, gegen Arbeitslose, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen Geflüchtete".
An den Kanzler gewandt sagte Dröge: "Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Kanzler aller Menschen in diesem Land sind." Sie erwarte von Merz, dass er Brücken baue. "Gerade ein Bundeskanzler muss für alle Menschen da sein, gerade für die Schwächsten in diesem Land. Und daran werden wir Sie messen."
"Aufkündigung der europäischen Zusammenarbeit in der Asylpolitik"
Dröge warf Merz konkret vor, mit schärferen Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylbewerbern die europäische Kooperation aufzugeben. "Im Kern ist das die Aufkündigung der europäischen Zusammenarbeit in der Asylpolitik." Im Kern sei das eine Politik, "die sagt, Deutschland macht seins und die anderen können mal sehen, wo sie bleiben."
Weder Kanzleramtsminister Thorsten Frei von der CDU noch Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD hätten zudem in der Regierungsbefragung beantworten können, ob Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) plane, "europäisches Recht zu brechen". Dröge warf Dobrindt vor, sich mit den angeordneten Zurückweisungen, "einfach über europäische Verträge hinwegzusetzen".
Auch in der Klimapolitik gebe es "keine einzige vernünftige Antwort" von Merz, kritisierte Dröge. "Das einzige, was sie zum Klimaschutz gesagt haben, ist wie immer: Der CO2-Preis soll das regeln."
AfD hält Migrationspolitik für unzureichend
Auch die größte Oppositionsfraktion im Bundestag, die AfD, kritisierte Merz scharf. Parteichefin Alice Weidel nannte die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung unzureichend und nicht zielführend. Die angeordneten verschärften Grenzkontrollen müssten "lückenlos und dauerhaft" fortgeführt werden, sagte sie. Die "illegale Einwanderung nach Deutschland und in die deutschen Sozialsysteme muss auf Null zurückgefahren werden".
Weidel warf Merz vor, seine Wahlversprechen von mehr Rückführungen nicht umsetzen zu können, weil er mit der SPD koaliere und sich dem "Dogma der antidemokratischen Brandmauer" zur AfD unterworfen habe. Weiter sagte Weidel: "Schwäche und Instabilität sind die Signale, die von Ihrem historischen Fehlstart ausgehen, Herr Merz. Sie sind der Kanzler der zweiten Wahl. Und diesen Makel werden Sie nicht mehr los. Merz war am 6. Mai erst im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt worden.
Die AfD klagt gegen die Hochstufung. Wegen der rechtlichen Befassung hat der Verfassungsschutz nun eine "Stillhaltezusage" abgegeben. Das bedeutet, dass es die Einstufung bis zu einer juristischen Klärung im Eilverfahren vorläufig aussetzt und auch die Pressemitteilung dazu löscht. Gleichzeitig hat das Amt damit aber keine Aussage zur Sache getroffen. Die Stillhaltezusage ist also kein Eingeständnis, etwas falsch gemacht zu haben. Sie sagt auch nichts darüber aus, wie groß die Erfolgsaussichten von AfD-Eilantrag und -Klage sind.
Begründet hatte der Verfassungsschutz die Hochstufung in der Pressemitteilung zuvor unter anderem so: "Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar." Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen.
Während mehrere AfD-Landesverbände bereits seit Längerem als "gesichert rechtsextremistisch" bewertet werden, galt die Gesamtpartei zuvor als sogenannter Verdachtsfall. Der neuen Einstufung ging eine dreijährige Prüfung durch den Verfassungsschutz voraus.
Linke: Merz "schweigt zur sozialen Krise"
Die Linksfraktion warf Merz und seiner Regierung eine "Politik der sozialen Kälte" vor. Der Kanzler "schweigt zur sozialen Krise in diesem Land", sagte Fraktionschef Sören Pellmann im Parlament. Die Menschen in Deutschland wollten "eine Regierung, die sich um die realen Probleme der Menschen kümmert". Dazu gehöre "im Alter das Recht auf eine lebenswerte Existenz".
Pellmann warf Union und SPD vor, das Rentenniveau nur bis 2031 bei 48 Prozent stabilisieren zu wollen und die Finanzierung dafür offenzulassen. Er forderte eine Anhebung des Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent sowie eine solidarische Mindestrente von 1.400 Euro. Den Vorstoß von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) für eine Einbeziehung auch von Selbstständigen und Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung begrüßte er, nannte ihn aber "nur einen PR-Gag".
Zudem drang Pellmann auf ein soziales Wohnungsbauprogramm. Dies würde Wohnen wieder bezahlbarer machen und zudem "kurbelt es die Konjunktur an". Der Linken-Fraktionschef verlangte außerdem einen Ost-Transformationsfonds, um für gleichwertige Lebensverhältnisse auch in Ostdeutschland zu sorgen. Merz und seiner Regierung warf er vor, die Belange der Menschen im Osten zu vernachlässigen.
Miersch: Man muss auch streiten können
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sicherte Merz eine konstruktive, aber auch kritische Zusammenarbeit zu. In einer Koalition müsse man auch streiten, sagte Miersch. "Aber es muss immer zielgerichtet sein, und das versichere ich Ihnen im Namen der SPD-Bundestagsfraktion." Ein strittiges Thema könnte zum Beispiel eine weitergehende Reform der Schuldenbremse sein, sagte Miersch. Auch zur Reform der sozialen Sicherungssysteme hätten CDU, CSU und SPD unterschiedliche Haltungen. Am Ende müsse eine Entscheidung getroffen werden, die den Bürgern Sicherheit gebe.
Wirtschaftsverbände zuversichtlich
Von Wirtschaftsvertretern bekam Merz Lob - er hatte zum Kampf gegen Rezession und Wachstumsschwäche aufgerufen. Es sei für Deutschland aus eigener Kraft möglich, aus der Wachstumsschwäche zu kommen, sagte Merz.
Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, sagte darauf: "Viele der angekündigten Maßnahmen sind aus Sicht der Wirtschaft nicht nur richtig, sondern überfällig." Bürokratieabbau, schnellere Genehmigungen, niedrigere Energiekosten, Sonderabschreibungen, Investitionen in die Infrastruktur - all das forderten die Unternehmen schon lange. Auch über neue Modelle längerer Jahres- und Lebensarbeitszeiten müsse offen gesprochen werden.
Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), sagte: "Die angekündigten Maßnahmen sind lange überfällig." Verlässliche Rahmenbedingungen und spürbare Entlastungen seien notwendig - vor allem bei der Bürokratie.
Auch der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) sieht in Merz' Regierungserklärung ein wichtiges Signal. "Die Wirtschaft braucht Perspektiven, und die Leitlinien des Bundeskanzlers bieten die Aussicht auf nachhaltige Entlastung bei Bürokratie, Unternehmensbesteuerung und Energiekosten", sagte DMB-Präsident Marc Tenbieg.